Kategorie: Myrko Tépus

IGP Coteaux du Verdon / Provence / Frankreich

ERSTMALS IN DEUTSCHLAND

IM EINKLANG MIT DER NATUR

JUNGER WINZER AUF DER ÜBERHOLSPUR

Es ist Freitag, der 13. August 2021. Der bisher heißeste Tag im provencalischen Jahr. Nach einem «Petit Déjeuner» in Cotignac führt unser Weg über kleine und enge Straßen weiter in den ruhigen Norden der Provence, Departement VAR. Als wir um 11 Uhr das Weingut erreichen, zeigt das Thermometer bereits 31°C und die Sonne brennt. Wie gut, dass wir uns direkt vor Myrkos isoliertem Kellergebäude treffen und für einen ersten Austausch in den Schatten flüchten können.

MYRKO TEPÚS / STORY

Natürlicher Weinbau im Norden der Provence.

Kennengelernt haben wir uns im Januar 2020 auf einer kleinen Weinshow mit 50 Winzern im Süden Frankreichs. Seine Weine haben mich damals direkt gefesselt. Sie waren anders als die üblichen Vertreter der Provence. Charaktervoll, mit Ecken und Kanten, frisch wie ein Gebirgsbach, mediterrane Wärme mit burgundisch anmutender Kühle vereint. Dazu noch biologisch bewirtschaftet und so gut wie ohne Schwefel - doch dazu später mehr.

Denn es naht der Zeitpunkt, an dem wir den kühlen Keller verlassen müssen, um uns die glühend heißen Weinberge anzusehen. In rasantem Tempo geht es durch die engen Straßen an den Ortsrand von Esparron. Die erste Parzelle ist zugleich die größte und älteste Anlage. Hier, auf 450 Metern über dem Meeresspiegel, wachsen vier Hektar Grenache, die im Jahr 1954 gepflanzt wurden. Knorzige Rebstöcke von der Dicke eines Oberschenkels bestätigen dies eindrucksvoll. Doch es hängen nur kleine und wenige Trauben an den Stöcken. Und das liegt nicht nur am Alter. Spätfrost am 21. April und Hagelschauer im Mai zerstörten einen nicht geringen Teil der Ernte. Die Wetterkapriolen nehmen zu, das Wasser wird knapper. Hier haben die alten Stöcke mit ihren langen Feinwurzeln den enormen Vorteil, dass sie durch die erreichte Tiefe die feuchten Erdschichten erreichen. Dennoch sieht man hier außer Weinbergen und Olivenbäumen kaum mehr saftiges Grün.

Ich frage ihn, wie er zu diesen Weinbergen kam und er erzählt mir, dass dies garnicht so schwierig und teuer gewesen sei. 2015 hatte er die Gelegenheit, insgesamt 12 Hektar Weinberge von einem alten Schäfer zu erwerben. Dieser habe die Weinberge über Jahre vernachlässigt und sich letztendlich garnicht mehr darum gekümmert. Da die Natur jedoch keine freien Flächen mag, habe sie sich den Weinberg zurückerobert.

Der günstige Preis musste also mit reichlich Fleiß, Schweiß und Muskelkraft egalisiert werden. In den Folgejahren sorgte er für die Revitalisierung des Bodens, reicherte ihn durch Leguminosen und Hanf mit Stickstoff und Nährstoffen an, orientierte sich an biodynamischen Prinzipien. Eigentlich hat er auch ein Zertifikat von Ecocert, das ihm bescheinigt, dass er biologisch arbeitet. Da das EU-Biosiegel jedoch nicht auf den Etiketten abgebildet wird, sind wir gezwungen, die Weine in Deutschland als «konventionell» zu vermarkten.

Größten Wert legt er auf die Erhaltung der alten Reben - besser gesagt deren Wurzeln. So wurden und werden Stück für Stück die Klone der 80er Jahre, die ausschließlich der Massenproduktion von Trauben dienten, entfernt und mit neuen Trieben veredelt. Neben dem Grenache-Weinberg ist dies auch die Hauptaufgabe beim Carignan (2 Hektar / 1962), Cinsault (1 Hektar / 1949), Syrah (1 Hektar / 1965) und Ugni Blanc (1 Hektar / 1970). Unverständnis zeigt er beim Chardonnay. Mit erhobener Stimme und sichtlich emotional stellt er die Frage, wie jemand auf die Idee gekommen sei, Chardonnay in der Provence zu pflanzen. Doch um es vorwegzunehmen: die Fassprobe des 0,2 Hektar kleinen Weinbergs fließt zwar in die Cuvée Le Lointain, doch sie würde auch für sich alleine getrunken einen Wein ergeben, der Eindruck hinterlässt.

Mittlerweile sind wir etwas weiter oben und einige hundert Meter nördlich in der Parzelle des Ugni Blanc (Trebbiano) angekommen. Hier hängen mehr Trauben an den Stöcken, auch wenn die größte «Gefährdung» noch bevorsteht. Denn Myrko sagt mit strahlendem Gesicht: "Vögel lieben meine Trauben".

Mit gleicher Begeisterung spricht er von ca. 12 Wölfen, die sich in der Gegend niedergelassen haben. Sie dezimieren auf natürliche Weise den Wildschwein-Bestand, der im Herbst ganze Weinberge die Ernte kosten kann.

Eine reale Gefahr, oder besser gesagt Herausforderung, ist jedoch das Abpassen des richtigen Erntezeitpunkts. Im September herrschte hier in der Vergangenheit großer Pilzdruck durch Botrytis. So gilt abzuwägen, ob man zu Lasten der vollständigen physiologischen Reife etwas früher erntet oder erhöhten Leseaufwand und Verlust durch Pilzbefall in Kauf nimmt. Hierfür gebe es trotz seiner mikrobiologischen Kontrollen kein Patentrezept.

Das Thermometer hat nun schon 35°C erreicht und ich erkundige mich, ob es denn abends abkühlen würde. Myrko entgegnet mir, dass das Thermometer in der Nacht selten mehr als 20°C anzeigt. Auf den Wind sei Verlass. Dies ist nicht nur gut für den Schlaf des Winzers, sondern auch für die Qualität der Trauben. Denn nachts bildet sich die Apfelsäure im Wein zurück. Je kühler es in der Nacht ist, desto langsamer bzw. schwächer geht dieser Prozess von statten, während durch die Hitze des Tages die Trauben zur optimalen Reife gelangen.
Da die Scheuermanns für alle Weinberge die selben Maxime anlegen, lässt sich die Erntemenge bei Bedarf gezielt skalieren. Gabriel sagte uns, dass er alle Weinberge aus dem Besitz perfekt kenne, auch die, deren Trauben an befreundete Winzer verkauft werden. Dadurch ist das Weingut jedes Jahr in der Lage, die Mengen entsprechend anzupassen, ohne Qualitätseinbußen zu haben.

Zurück im Weingut treten wir auf der gegenüberliegenden Straßenseite in ein großes Tor. Es führt uns in ein Wirtschaftsgebäude aus dem Jahr 1617, dessen Gewölbe in den Hang hineinreicht und Myrko als Fass- und Flaschenlager dient.

Die alten Holzfässer stammen von der legendären Domaine Pierre-Yves Colin-Morey aus Chassagne-Montrachet. Ähnlich legendär war eine seiner Winzer-Stationen, als er bei Benjamin Dagueneau an der Loire Halt machte. Ein Weingut, das sich dem Sauvignon-Blanc verschrieben hat und extrem mineralische, fruchtreduzierte, langlebige und straffe Weine im absoluten Top-Segment produziert.

Während der Verkostung entdecke ich die kleinen roten Kisten, die bei der Lese verwendet werden. Selbstverständlich ist alles Handlese. Geerntet wird in bis zu drei Durchgängen. Die Größe der Kisten ist von hoher Relevanz, denn es gilt zu verhindern, dass die Trauben durch das Eigengewicht aufplatzen. Diese Verletzung kann zu Mikrooxidation führen und widerspricht dem Konzept der blitzsauberen, äußerst frischen und saftigen Weine. 

Die Trauben werden allesamt nach Parzellen getrennt in Zement-Tanks spontan vergoren. Spontan vergären bedeutet, dass weinbergs- und kellereigene Hefen die alkoholische Gärung starten. Eine Reise, die oft ins Ungewisse führt und nicht immer zu kontrollieren ist. Um zu verhindern, dass die Gärung in eine falsche Richtung geht (z.B. flüchtige Säuren), kontrolliert Myrko die Hefestämme regelmäßig unter dem Mikroskop.

Zur Reifung gelangt der überwiegende Teil in kleine und große Holzfässer, alle gebraucht. Dort bekommt jeder Wein die Zeit die er benötigt, um auf die Flasche gezogen zu werden. Zwar könne er den Rosé im April viel besser vermarkten, doch es widerspricht ihm, sein Produkt zu Lasten der Qualität an den Markt anzupassen. Sulfite gibt er nur im äußersten Notfall zu und selbst dann bewegt er sich im Bereich von unter 25 - 50 mg pro Liter.

Myrko erzählt mir, dass eine gute und lange Reifung eines Weines entweder Sulfite oder Säure voraussetzt. Er setzt auf die natürliche Variante, weshalb alle Weine ein gesundes, jedoch niemals spitz wirkendes Säuregerüst vorweisen. Zwar verfüge er erst über fünf Jahre Erfahrung mit seinen eigenen Weinen und die Vorhersage eines Reifepotenzials sei noch nicht bestätigt. Doch es sei wie ein Mantra, von dem er felsenfest überzeugt sei.

Dies ist auch meine Einschätzung, wenn ich auf die Verkostung der gelungenen Linie und die Eindrücke des Tages zurückblicke. Hier leistet jemand beeindruckende Arbeit im Einklang mit der Natur und hat dabei nicht vergessen, das Leben abseits der Arbeit zu genießen.

Wir beenden den Besuch bei einem gemeinsamen späten Mittagessen im Bistro Ecole und es erwartet mich am letzten Tag meiner Reise eines der beeindruckendsten Essen der letzten drei Wochen. Kein Schnick-Schnack, dafür allerbeste Produkte aus der Region, zubereitet von einem Meister seines Fachs. Dass vom Essen keine Fotos entstanden sind, verdeutlicht, wie groß die Vorfreude auf die schlichten aber hübsch angerichteten Gerichte war.

Hätte es mittlerweile keine 38°C und würden nicht noch 500 Kilometer bis zum nächsten Stopp vor mir liegen, wäre das ein perfekter Ort, um einfach bis in die Nacht hinein sitzen zu bleiben.

Bistro Ecole 
2 Rue des Écoles, 83560 Esparron

IGP Coteaux du Verdon

Das Anbaugebiet IGP Coteaux du Verdon, gelegen am Fuße der Berge, unweit der Verdon-Schlucht und Mittelmeerküste, reicht von Var bis Alpes de Haute Provence. Das Gebiet hat seinen Namen vom gleichnamigen Fluss Verdon, der in den französischen Seealpen entspringt. In dieser Gegend möchte man seine Seele baumeln lassen, am See entlang spazieren gehen und sich ein Boot schnappen. Lebhafter ist es in den Feriendomizilen weiter südlich in Saint-Tropez und Marseille, gerade mal 80 und 100 km vom Weingut entfernt.

Die Reben in Esparron liegen auf 460 m ü.M und reichen von Bessillon (Osten) bis Sainte-Victoire (Westen). Das vorherrschende Mittelmeerklima wird durch den aus der Rhône kommenden Wind »Mistral« leicht gekühlt, zudem sorgen die Temperaturunterschiede von Tag und Nacht für ein ausgeglichenes Verhältnis von Säure und Zucker in den Beeren. Das ist wichtig, denn die Provence ist sehr sonnenverwöhnt. In Esparron scheint die Sonne ganze 3.400 Stunden im Jahr(!). Ein Vergleich zu anderen Sonnenspitzen: 2000 Sonnenstunden in der Pfalz und im Wallis mit ähnlich hoher Niederschlagsmenge. Dieses trockene, warme Klima ist geradezu prädestiniert für Bioweinbau.